Dienstag, Dezember 28, 2010

Kommt irgendwann die Einteilung in Risikogruppen am Flughafen?

Wie der Spiegel (SpOn) schreibt, fordert der designierte Präsident des Deutschen Flughafenverbands (ADV), Christoph Blume die Vereinfachung der Flughafenkontrollen durch Kategorisierung der Flugreisenden.
Möglich sei eine Aufteilung des Stroms in drei "Tunnel". Tunnel 1 wäre für bekannte (Geschäfts-)Reisende, Tunnel 2 für "normale Reisende" und in Tunnel 3 müssten dann "[p]otentielle Gefährder ... eine umfassende Untersuchung über sich ergehen lassen."

Wer alles in Tunnel 3 landet, legt dann das Einreiseland fest und wird anhand von Daten wie dem Ausweis, vorherigen Reisezielen oder der Frage, ob bar oder mit Kreditkarte* bezahlt wurde geklärt. Sicherlich spielen fremdländische Namen, ein Ingenieursstudium in Hamburg oder die Angabe "kein Schweinefleisch" keine Rolle.

Natürlich regt sich Protest gegen diesen Vorschlag. Datenschützer sehen das ganze skeptisch (insoweit nicht ganz überraschend), und sogar der Vorzeigesozi und Mr. Vorratsdatenspeicherung, Verdeckte Onlinedurchsuchung, Rosa Liste Gegen den Terror und Bundeswehr Bitte Jetzt im Innern, Herr Wiefelspütz erkennt, dass "die Gefahr der Diskriminierung groß" sei.


Da haben sie natürlich völlig recht. Trotzdem ist die Diskussion so lange scheinheilig, wie die Polizei bei "verdachtsunabhängigen Kontrollen" schamlos auf ihre gesammelten Vorurteile kriminalistische Erfahrung zurückgreift. Wenn die Beamten dann bei zwei jungen Männern in einem neuen Auto enttäuscht die weiße Weste (von Fahrer und Beifahrer) bestätigt bekommen.
Wenn ein Mann mit Dreadlocks fast nicht unbehelligt über den Münchner Hauptbahnhof laufen kann.

Und wenn sogar namhafte Sicherheitsrechtsautoren (ich glaube es waren Pieroth/Schlink/Kniesel) behaupten, diese verdachtsunabhängigen Kontrollen seien dann rechtswidrig, wenn offensichtlich keine Gefahr bestünde und dann als Beispiel ausgerechnet religiös-fanatische vollvermummte Gestalten anführen, bei denen nicht einmal das Geschlecht genau erkannt werden kann:














*) Da freut sich dann der gemeine Deutsche, wenn allein das von ihm bevorzugte Zahlungsmittel (in D-Land sind Kreditkarten immer noch wenig verbreitet) ihn zum Schlüpperzeigen zwingt.

Sonntag, Dezember 19, 2010

Programmhinweis: Der Tatort zur Partyfrage

Ich bin ja nicht wirklich ein allzu großer Freund des Tatort, aber der von dieser Woche gefällt bisher (ich schaue zeitversetzt) ganz gut. Er setzt sich mit der Hoenig'schen Partyfrage, mit der jeder - angehende - Jurist wohl des öfteren konfrontiert wird.

Der Mörder (da bleibt der Krimi seinem Anspruch treu) steht von Anfang an fest. Ein Mann hat zwei Frauen vergewaltigt und eine davon umgebracht, die zweite überlebte irrtümlich. Bei der Gerichtsverhandlung zeigt sich nur, dass man doch eher einen richterlichen Beschluss hätte einholen sollen, bevor man den mutmaßlichen Täter abhört und dabei sein Geständnis belauscht. Das Tonband ist unverwertbar und der Angeklagte wird freigesprochen.
Der Tatort zeigt dann die verschiedenen Beteiligten, wie sie mit der Situation umgehen. Da ist das traumatisierte Opfer, dass seitdem unter Panikattacken leidet und sich die Arme aufschlitzt.
Da sind ihre Eltern, die sich gegenseitig Vorwürfe machen. Die Familien, Nachbarn und Fußballkumpel, die eine Bürgerwehr gründen und Warnplakate aufhängen. Der Vater des Täters, der immer zu ihm gehalten hat, auch wenn er damit selbst gesellschaftlich verabscheut wurde.
Da ist die Anwältin, die ihr Mandat niederlegt, nachdem das überlebende Opfer verschwunden ist und er die Frage nicht beantwortet, ob er was damit zu tun hat. Und die trotzdem in der Tiefgarage überfallen und zusammengeschlagen wird.
Und die ermittelnden Kommissare, die sich fragen, ob sie den Verbleib nicht besser aus dem Täter herausprügeln sollen.

Mir gefällt der Tatort auch, weil er sich langsam an die Realität annähert. sehr langsam, aber immerhin gibts weder Einspruch noch "Sie haben das Recht zu schweigen." und sogar der Schönfelder etc stehen so, dass sie der Richter und nicht der Zuschauer sehen kann. ;)

Wer den Tatort nicht gesehen hat, kann das hier noch eine Woche lang tun.

Donnerstag, Dezember 09, 2010

Tschechischer Penistest an Asylbewerbern

Man mag es kaum glauben, aber Spiegel online ist ja ein seriöses Medium.

Angeblich hatte Tschechien bis Anfang des Jahres ein besonderes Testverfahren für homosexuelle Asylbewerber. Wer demnach behauptete, aufgrund seiner sexuellen Orientierung verfolgt zu werden, der musste eine "freiwillige"sogenannte "phallometrische Untersuchung" über sich ergehen lassen.

Dabei wurde dem Asylbewerber heterosexuelle Pornographie geszeigt und der Blutfluss in seinem Penis gemessen. Wer eine Erektion bekam, war dann offenbar nicht schwul und verfolgt genug.

Diese Praxis wurde im aktuellen Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zum Thema Homophobie, Transphobie und Disktiminierung aufgrund sexueller Orientierung und sexueller Identität kritisiert (leider nur auf Englisch verfügbar).


Bekannt geworden ist die Praxis aufgrund eines Beschlusses des VG Schleswig, Beschluss vom 07.09.2009 - 6 B 32/09, (Volltext), mit dem die Abschiebung des Klägers nach Tschechien (als qua Definition sicheres Drittland im Sinne des Art. 16 a Abs. 2 GG bzw. § 26 a AsylVfG) gestoppt wurde. Aus dem Beschluss:

Vorliegend sind die vorgenannten Voraussetzungen für die Gewährung von Eilrechtsschutz in Deutschland gegeben, weil der Antragsteller unwidersprochen geltend machen kann, dass er in der Tschechischen Republik einer sexologischen und phallometrischen Untersuchung unterzogen werden soll und ein Schriftstück tschechischer Behörden vorlegt, wonach die Weigerung sich einer sexologischen Untersuchung zu unterziehen, die Beendigung des Asylverfahrens nach sich ziehen kann. Nähere Einzelheiten zur Durchführung einer solchen sexologischen und phallometrischen Untersuchung sind in diesem Eilverfahren ebenso wenig bekannt geworden, wie Erkenntnisse über die Eignung einer solchen Untersuchung zur Feststellung der vom Antragsteller behaupteten Homosexualität.

Damit steht zur Überzeugung des Gerichts zumindest mit der für dieses Eilverfahren hinreichenden Sicherheit fest, dass der Antragsteller in der Tschechischen Republik einem Zugangshindernis zum Asylverfahren begegnen wird, dessen Menschenrechtskonformität nach dem gegenwärtig überschaubaren Sachstand mindestens sehr zweifelhaft erscheint.


Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst anfangen soll.

Bei der offensichtlichen Ungeeignetheit dieser Maßnahme? Bei der Tatsache, dass nicht jeder heterosexuelle in dieser Drucksituation "einen hoch bekommt", andererseits auch verfolgte Schwule von Hetero-Pornos erregt werden können?
Bei der Frage, ob sich vor den angeblich lesbischen Asylbewerberinnen der Beamte auszieht und dann eineScheidenschleimuntersuchung erfolgt?
Oder bei der Frage, wie "freiwillig" und "selbst gewünscht" diese Tests sind, wenn sie in einer Situation gefordert werden, wo es bei negativem Ausgang um Leben und Tod geht.



WikiLeaks und die Medien (II)

Jetzt hat auch der Spiegel als Medienpartner von Wikileaks die ihm zugespielten Dokumente unter anderen Stichwörtern als Angie, Guido oder Horst durchgesehen und ist auf die el Masri-Depeschen gestoßen (wir berichteten):

Die nun aufgetauchten Details illustrieren ein doppeltes Spiel Deutschlands im Fall Masri. Öffentlich wurde zwar stets nach Aufklärung gerufen, doch weder die Regierung noch die Justiz hätten damals ohne den Druck der Medien das heiße Eisen der illegalen CIA-Kidnappings angefasst. Intern bestand Übereinstimmung, dass der offenbar wegen einer Namensverwechslung verschleppte Masri schlicht Pech hatte. Ermittlungen gegen die CIA, inklusive der weiteren Eintrübung des reichlich angeschlagenen deutsch-amerikanischen Verhältnisses, wollte indes niemand.

Die US-Berichte über die bayerische Justiz, die Landesregierung, aber auch über die Bundesministerien zeugen von dieser Haltung. So soll Oberstaatsanwalt August Stern einem US-Diplomaten gesagt haben, er habe sich "durch den Druck der Medien gezwungen gefühlt", die Haftbefehle auszustellen. In der Tat kamen die meisten Recherchen zu den wahren Identitäten der Piloten des CIA-Jets und der anderen Kommandomitglieder von Journalisten.

(Quelle)



Ich muss also meine Medienschelte teilweise zurücknehmen und auf den generellen Vorwurf der Langsamkeit der Printmedienmaschinerie beschränken. Offenbar waren dafür einfach keine Kapazitäten frei.

Im Original heißt es übrigens:

The DCM
emphasized ... that issuance of
international arrest warrants would have a negative impact on
our bilateral relationship. He reminded Nikel
[stellvertretender Abteilungsleiter für Außen- und Sicherheitspolitik
im Kanzleramt] of the
repercussions to U.S.-Italian bilateral relations in the wake
of a similar move by Italian authorities last year.

¶2. (S/NF) The DCM pointed out that our intention was not to
threaten Germany, but rather to urge that the German
Government weigh carefully at every step of the way the
implications for relations with the U.S. We of course
recognized the independence of the German judiciary, but
noted that a decision to issue international arrest warrants
or extradition requests would require the concurrence of the
German Federal Government, specifically the MFA and the
Ministry of Justice (MOJ). ...

¶3. (S/NF) Nikel also underscored the independence of the
German judiciary, but confirmed that the MFA and MOJ would
have a procedural role to play. He said the case was subject
to political, as well as judicial, scrutiny. From a judicial
standpoint, the facts are clear, and the Munich prosecutor
has acted correctly. Politically speaking, said Nikel,
Germany would have to examine the implications for relations
with the U.S. At the same time, he noted our political
differences about how the global war on terrorism should be
waged, for example on the appropriateness of the Guantanamo
facility and the alleged use of renditions.


Die entsprechenden Ersuchen wurden übrigens bis heute nicht offiziell weitergeleitet, da sie auch unter Obama offensichtlich erfolglos wären.

Update: Henning Müller im Beck-Blog fragt, ob uns der Spiegel mit dieser Geschichte "belügt". Offenbar scheint ihm der Spiegel nicht klar genug darzustellen, dass Deutschland "nur" auf die Auslieferungsanträge verzichtet, wohl aber Haftbefehle erlassen hat.

Dienstag, Dezember 07, 2010

Wir überprüfen Sprichwörter. Heute: Wenn der Deutsche hinfällt, dann steht er nicht auf, sondern schaut, wer schadenersatzpflichtig ist.

Inspieriert von der Vielleicht-mal Kollegin Rueber überprüfe ich hier auch mal ein Sprichwort. Dieses hier ist von Tucholsky:

Wenn der Deutsche hinfällt, dann steht er nicht auf, sondern schaut, wer schadenersatzpflichtig ist.


Das OLG Hamm sagt dazu folgendes:

In dem jetzt vom Oberlandesgericht Hamm entschiedenen Rechtsstreit rodelte der Kläger im Januar 2009 auf einer Nebenstrecke im Stadtpark und stürzte an dem unteren Ende des Hanges. An dieser Stelle war der Hang durch einen mit einer Mauer abgefangenen Absatz zu einem tiefer liegenden Weg durchbrochen.

Seine gegenüber der beklagten Stadt geltend gemachte Schadensersatzklage blieb jedoch ohne Erfolg. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm bestand schon keine abhilfebedürftige Gefahrenquelle, weil das Gelände nicht als Rodelfläche, sondern als Park konzipiert und mit Mauerabgrenzungen versehene Wege dort nicht untypisch seien. Den Kläger träfe zudem ein überwiegendes Mitverschulden. Er hätte nicht darauf vertrauen dürfen, dass jeder Hang durchgängig befahrbar sei. Der Kläger hätte sich vorab von der Eignung als Rodelpiste überzeugen, bei der Abfahrt auf Sicht fahren, seinen Schlitten stets kontrollieren und sich auf Bodenunebenheiten einstellen müssen.


Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 3. September 2010 – I-9 U 81/10


Ergebnis: Das Sprichwort stimmt.

WikiLeaks und der Fall Khaled el Masri

Im Zuge des neuesten WikiLeaks-Coups ging es auch um das Verhältnis zwischen den Neuen und den etablierten (Print-)Medien. Laut Markus Kompa meint jedenfalls die Süddeutsche, die Veröffentlichung der Rohdaten sei "nutzlos, das müsse erst journalistisch gefiltert manipuliert zensiert verfälscht interpretiert und relativiert zerredet als Antiamerikanismus gelabelt kommentiert werden."

Wie die etablierten (Print-)Medien jedoch mit ihrer Filterverantwortung umgehen, zeigt ein Blick in die Auswahl der Dokumente, über die berichtet wurde:
Frau Merkel als selten kreative Teflon-Kanzlerin, Herr Westerwelle kein zweiter Genscher, Herr Niebel schräg, Herr Seehofer unberechenbar, Herr v.u.z. Guttenberg toll - alles Dinge, "die man so in jeder Fußgängerzone erfahren könnte". Der Neuigkeitswert ist denkbar begrenzt.

"Deutschland "drohen" wolle man nicht. Aber internationale Haftbefehle anzufertigen, gar Auslieferungsanträge zu stellen, das solle sich die Bundesrepublik "gut überlegen". Es gehe schließlich um die Beziehungen mit den USA. Der "Fall" bedürfe auch einer "politischen" Überprüfung. (...)
Der Fall würde "nicht leicht" werden, sagt er. Der Bundestag übe "enormen Druck" aus, ebenso deutsche Medien. Die Bundeskanzlerin, versichert Nikel, werde "dennoch versuchen, so konstruktiv wie möglich vorzugehen".

Das schreibt die Stuttgarter Zeitung klein über den Fall Khaled el Masri*, einen Neu-Ulmer, der auf einer Urlaubsreise von der CIA entführt, monatelang gefoltert und daraufhin mittellos auf einem Waldweg ausgesetzt worden war.
Gut, angesichts der recht schnell im Sande verlaufenden Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Entführer war von einer Einflussnahme im Fall el Masri auszugehen. Und möglicherweise sind Folteropfer nicht mehr populär, wenn sie aufgrund der Traumatisierung und der fehlenden juristischen Aufarbeitung irgendwann ausrasten.

Dennoch findet sich mit den WikiLeaks-Depeschen nun ein weiterer Beweis für die Tatenlosigkeit der deutschen Regierung im Bereich "sensibler Fälle". Angesichts unserer selbstauferlegten Verantwortung, in jedem Gespräch mit China auf Menschenrechtsverletzungen einzugehen finde ich es immer noch erbärmlich, wenn man die transatlantischen Beziehungen über den Grundrechtsschutz der eigenen Staatsbürger stellt.


*) oder Khalid El-Masri, Khaled El-Masri, Khaled Masri, Chālid al-Masrī oder Ḫālid al-Maṣrī. Es ist mir schleierhaft wieso bei einem Menschen mit deutschem Pass der korrekte Name solche Schwierigkeiten bereitet.